Das Pica-Syndrom bei Katzen
Wenn Stubentiger Plastik fressen
Das Verhalten von Katzen ist für viele Katzenhalter ein Buch mit sieben Siegeln. Eines ist aber klar: Wenn Miezi nicht mehr nur ihr Katzenfutter frisst, sondern auch Kunststoff, Holz, Steine oder Katzenstreu vertilgt, läuft definitiv etwas falsch. Was jedoch wenige Katzenhalter wissen: Das Fressen von ungenießbaren Dingen ist für den empfindlichen Katzenmagen eine große Gefahr.
Beobachten Sie dieses Verhalten bei Ihrer Katze, leidet die Samtpfote höchstwahrscheinlich unter dem sogenannten Pica-Syndrom. Was aber sind die Ursachen? Wo liegen die Gefahren? Und was lässt sich gegen das Pica-Syndrom unternehmen?
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Was verbirgt sich hinter dem Pica-Syndrom?
Als Pica-Syndrom bezeichnet man eine Form der Essstörung, die äußerst selten ist. Interessanterweise tritt das Pica-Syndrom nicht nur beim Menschen, sondern häufig auch bei Katzen auf. Der Name Pica-Syndrom leitet sich vom lateinischen Gattungsnamen für Elstern („Pica“) ab. Der Name ist im wahrsten Sinne des Wortes Programm. Während Elstern dafür bekannt sind, allerhand nicht fressbare Dinge zu stibitzen, fressen Stubentiger diverse ungenießbare Dinge.
Typisch ist dabei aber nicht nur das letztendliche Herunterschlucken. Noch häufiger kauen und nagen Katzen auf ungenießbaren Dingen herum. In der Regel tritt das Pica-Syndrom innerhalb des ersten Lebensjahres auf. Während es in den meisten Fällen nach einer Zeit von allein wieder verschwindet, leiden einige Katzen ein Leben lang darunter.
Achtung:
Auch Hunde können ein Pica-Syndrom entwickeln. Die Ursachen, die wir im Folgenden noch ansprechen, sind allerdings weitgehend die gleichen.
Gibt es Unterschiede zwischen Rassen und Geschlechtern?
Das seit über 40 Jahren bei Katzen bekannte Krankheitsbild betrifft aktuellen Erkenntnissen zufolge alle Katzenrassen gleichermaßen. Womöglich gibt es jedoch einen Unterschied zwischen Kätzinnen und Katern. In einer Studie der beiden Wissenschaftler Houpt und Bamberger aus dem Jahr 2006 entwickelten Kater proportional häufiger ein Pica-Syndrom.
Symptome und Verhalten: Was fressen Katzen mit Pica-Syndrom?
Wer selbst eine Samtpfote besitzt, der weiß eines sehr genau: Katzen sind sehr wählerische Tiere. Das gilt auch für die Vorliebe, auf bestimmten Materialien herumzukauen und diese sogar zu fressen. Gleich mehrere Studien haben sich mit genau diesem Thema befasst. Dazu wurden Katzenhalter:innen nach den Vorlieben ihrer Stubentiger befragt. Wie die Grafik zeigt, haben Katzen klare Präferenzen (Mehrfachnennungen waren möglich).
Allem voran stehen Fäden, Schnürsenkel und anderweitige Schnüre. 51 Katzenhalter:innen gaben an, dass ihre Tiere sich über diese Dinge hermachen. Gleich auf Platz zwei folgt Plastik mit 41 Katzen. Auf den folgenden Rängen ordnen sich Stoff (39), Gummi (28), Papier und Pappe (24) und Holz (5) ein. Hinzu kommt eine ganze Reihe an Gegenständen und Materialien, die unter den Punkt „Sonstiges“ (38) fallen. Dazu zählen unter anderem Ohrstöpsel, Seife, Klebeband, Kieselsteine, Schwämme, Toilettenpapier, Wattestäbchen, Haargummis, Katzenstreu oder Kot.
Interessant ist auch das „Knabber-Verhalten“ von Pica-Katzen. Exzessives Herumkauen auf ungenießbaren Dingen lässt sich als Warnsignal für ein beginnendes Pica-Syndrom betrachten. Im Umkehrschluss zeigt sich aber auch, dass beim Pica-Syndrom bei Weitem nicht alle angeknabberten Dinge auch gefressen werden.
Lebensbedrohliche Folgen des Pica-Syndroms
Es ist offensichtlich, dass der Verzehr ungeeigneter Stoffe nicht gesund für den empfindlichen Verdauungstrakt von Katzen ist. Im besten Fall führt die Essstörung lediglich zu temporären Verdauungsbeschwerden. Abhängig vom vertilgten Material kann es aber auch zu schweren Vergiftungen und Infektionen inklusive irreversiblen Organschäden kommen.
Das ist vor allem dann der Fall, wenn sich Ihre Katze über Gummi und Kunststoffe hermacht. Viele Materialien können darüber hinaus nur schlecht oder gar nicht verdaut werden. Im schlimmsten Fall sammeln sie sich im Darm an und provozieren einen potenziell tödlichen Darmverschluss. Haben Sie den Verdacht, dass Ihr Stubentiger unter dem Pica-Syndrom leidet, sollten Sie schnell handeln und Ihre Tierärztin bzw. Ihren Tierarzt aufsuchen.
Ursachen: Mehr Vermutungen als handfeste Beweise
Beim Menschen ist das Pica-Syndrom bei Erwachsenen meist auf schwerwiegende Grunderkrankungen wie Demenz, Schizophrenie oder Beeinträchtigungen nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma zurückzuführen. Bei Kleinkindern steht die Erkrankung häufig im Zusammenhang mit verminderter Intelligenz, massiver psychischer Belastung oder Verwahrlosung. Auch wenn die Ursachen bei Katzen nicht widerspruchsfrei geklärt sind, existieren einige Thesen:
- Sekundär-Symptom anderer Erkrankungen: Das Pica-Syndrom wurde zum Beispiel als Begleiterscheinung der sogenannten immunbedingten hämolytischen Anämie (IHA) beobachtet. Diese Ursache dürfte jedoch nur in seltenen Fällen zutreffen.
- Neurologische Störungen: Das Hungerzentrum von Katzen liegt im sogenannten Hypothalamus. Liegt dort eine neurologische Störung vor, kann das Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems das Tier zu diesem Verhalten zwingen.
- Genetische Veranlagung: Wie bei vielen anderen Erkrankungen vermuten Forscher eine genetische Prädisposition. Zeigt mindestens eines der Elternteile einer Katze die Symptome des Pica-Syndroms, ist das Risiko auch bei den Nachkommen erhöht.
- Zu frühe Trennung von der Mutter: Einige Verhaltenswissenschaftler sehen eine mögliche Ursache in der zu frühen Trennung von Kitten und Muttertier. Ein weiterer Grund, um bei der Anschaffung einer Katze ein Auge auf den Züchter zu werfen. Kitten sollten mindestens bis zur 14. Lebenswoche bei ihrer Mutter bleiben.
- Haltung: Es steht die logische Vermutung im Raum, dass Hauskatzen eher zum Pica-Syndrom neigen als Freigängerkatzen. Hintergrund ist neben der reizärmeren Umgebung auch ein geringerer Jagdtrieb sowie seltenere Sozialkontakte.
- Zwangsstörung: Der Schluss liegt nahe, dass das Pica-Syndrom auch bei Katzen ein Resultat einer psychischen Erkrankung oder massiven psychischen Überlastung sein kann. Scheinbar haben Katzen, die unter massiven Angstzuständen leiden, ein höheres Risiko das Pica-Syndrom als „Zwangsstörung“ zu entwickeln. Stress, Langeweile und Einsamkeit sind weitere Faktoren.
- Fütterung: Auch das Fütterungsverhalten kann einen Einfluss auf die Entwicklung des Pica-Syndroms haben. Eine Studie deutet darauf hin, dass Katzen, deren Kaubedürfnis durch geeignetes Futter gestillt wird, ein geringeres Risiko haben. Selten tritt das Pica-Syndrom etwa bei Stubentigern auf, die rohes Fleisch fressen, auf Knochen herumkauen können oder Zugang zu Katzengras haben. Katzen, die aufgrund der langen Abwesenheit ihres Halters länger fasten müssen, neigen dagegen eher dazu, ungenießbare Dinge zu fressen.
- Mikronährstoffmangel: In seltenen Fällen kann das Pica-Syndrom auch durch einen Mangel an Mikronährstoffen wie Eisen hervorgerufen werden. Dann kommt es vor, dass die Tiere ungenießbare Dinge aus der Intention heraus fressen, diesen Mangel auszugleichen.
Das Pica-Syndrom erkennen
Gerade bei älteren Katzen ist das Pica-Syndrom relativ leicht zu erkennen. Knabbert Ihre Samtpfote ständig zwanghaft an Textilien und anderen ungenießbaren Dingen herum, ist die Wahrscheinlichkeit bereits hoch. Katzen, die unter dem Syndrom leiden, übergeben sich in der Regel auch häufiger. Typischerweise finden Sie im Erbrochenen häufiger entsprechende Fremdkörper, die im Katzenmagen nichts zu suchen haben.
Knuspert Ihre Katze dagegen nur ab und zu mal an einem Kabel oder einer Zimmerpflanze, ist das noch lange kein Hinweis auf das Pica-Syndrom. Außerdem sollten Sie zwischen Jungtieren und älteren Katzen unterscheiden. Jungtiere sind besonders neugierig und genehmigen sich daher aus reinem Interesse einmal einen Probebiss.
Wie Sie mit einer „Pica-Katze“ umgehen sollten
- Ab zum Tierarzt
Bevor Sie selbst Maßnahmen einleiten, steht ein Besuch beim Tierarzt an. Dieser Schritt ist aus zwei Gründen notwendig. Einerseits, um festzustellen, ob durch das Fressen von Fremdkörpern bereits gesundheitliche Schäden entstanden sind. Andererseits, um auf die Suche nach organischen Ursachen wie einem Mikronährstoffmangel oder auslösenden Organschäden zu gehen. - Beseitigen Sie ungenießbare Dinge aus dem Umfeld Ihrer Katze
Die wichtigste Sofortmaßnahme besteht darin, dass Sie alle potenziell gefährlichen Stoffe aus dem Umfeld Ihrer Katze entfernen. So kann sie diese auch gar nicht fressen. Orientieren Sie sich dabei an den Dingen, die Ihr Stubentiger mit Vorliebe anknabbert. Kaut Ihre Katze gerne an Möbeln oder Teppichen herum, können Sie ihr den Zugang zum Beispiel durch das Umplatzieren verwehren. Ergänzend erweist sich auch sogenanntes Fernhaltespray als äußerst effektiv. Alternativ können Sie den kleinen Jäger auch mit einigen neuen Kauspielzeugen ablenken. Ideal sind Spielzeuge, die ein wenig Futter enthalten. - Stellen Sie das Futter Ihrer Katze um
Häufig kann es bereits helfen, die aktuelle Fütterung zu hinterfragen. Wichtig ist eine Umstellung auf eine Fütterung mit hohem Rohfaseranteil. Ebenfalls hilfreich ist frisches Fleisch, da es der natürlichen Ernährung des kleinen Jägers am nächsten kommt. Um den Drang zum Knabbern in den Griff zu bekommen, können Sie das Futter auch an mehreren Orten in der Wohnung verteilen, statt in einem zentralen Napf. - Reduzieren Sie das Stressniveau Ihres Stubentigers
Stress und Langeweile zählen zu den potenziellen Hauptursachen für das Pica-Syndrom. Indem Sie Ihrer Katze mehr Zuwendung schenken, können Sie hier Druck aus dem Kessel nehmen. Verwandeln Sie Ihre Wohnung zudem mit einigen Spielzeugen und Klettermöglichkeiten in einen Abenteuerspielplatz für Ihren Stubentiger. So neigt er auch in Ihrer Abwesenheit nicht dazu, aus Langeweile ungenießbare Dinge zu fressen. Weitere mögliche Optionen zur Stressreduktion sind Clicker-Training oder der Einzug einer zweiten Katze als Spielkamerad.